In Deutschland herrscht Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau - oder nicht?
Meist sind wir schon so an die strukturellen Unterschiede zwischen den Geschlechtern gewöhnt, dass sie uns gar nicht mehr auffallen. Doch schaut ihr genauer hin, fällt euch bestimmt ein Beispiel oder eine persönliche Erfahrung ein, wo Frauen und Männer sich nicht auf Augenhöhe begegnen.
Beispiele gibt es viele
In Büros ist es für Frauen oft circa fünf Grad zu kalt, weil die Wohlfühltemperatur für Männer ausgelegt ist. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau bei einem Autounfall ums Leben kommt, ist um 17 Prozent höher. Und das lediglich, weil in der Autoindustrie Autositze und -gurte ausschließlich für den männlichen Körper konzipiert werden. Frauen sind meist kleiner und müssen, um an die Pedale heranzukommen, den Sitz nach vorne schieben. Das erhöht das Risiko, einen Autounfall nicht zu überleben.
Strukturelle Unterschiede findet man in allen Bereichen der Gesellschaft. Noch ein Beispiel: In der iPhone-Gesundheits-App wurde nicht berücksichtigt, dass Frauen – also rund die Hälfte der iPhone-Nutzer*innen – einmal im Monat menstruieren. Sicherlich wäre das einer Frau aufgefallen, wenn sie im Planungsprozess involviert gewesen wäre.
Werden Frauen bewusst ausgeschlossen?
Caroline Criado-Perez schreibt dazu in ihrem Buch „Unsichtbare Frauen – Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“, dass Männer Frauen nicht bewusst ausgrenzen, zumindest nicht im Allgemeinen – sie werden schlichtweg vergessen. Als Frauen von der öffentlichen Gesellschaft noch ausgeschlossen wurden, traf der männliche Teil der Bevölkerung Entscheidungen auf Basis persönlicher Erfahrungen und formte so die Welt. Dadurch leben wir in einer männergemachten Welt, in der Männer die unausgesprochene Selbstverständlichkeit sind und über Frauen nicht explizit geredet wird. Denn wenn wir „Mensch“ sagen, meinen wir meistens den Mann.
Bezogen auf die Arbeitswelt zeigt Caroline Criado-Perez, dass Frauen ihre Fähigkeiten und Intelligenz treffender einschätzen können als Männer. Männer hingegen schätzen sich tendenziell besser ein. Die männlichen Verhaltensweisen dienen jedoch als Standard für den Arbeitsplatz. Daraus folgt, dass Frauen in Führungspositionen Selbstbewusstseins-Kurse besuchen, weil der allgemeine Glaube besteht, dass einzig das männliche Level an Selbstbewusstsein zum Erfolg führe. Tatsächlich gipfelt es lediglich in sich selbst überschätzenden Menschen.
Frauenquote vs. Gleichberechtigung
Um diesem Vorurteil auf den Grund zu gehen, hat die London School of Economics and Political Science eine sozialdemokratische Partei in Schweden untersucht. Diese praktiziert schon seit 1933 freiwillig die Frauenquote mit jeweils 50 Prozent männlichen und weiblichen Mitgliedern. Von Gegner*innen komme häufig der Einwand, eine Frauenquote sei nicht mit den Grundsätzen einer Leistungsgesellschaft vereinbar, in der Status, Einkommen und Einfluss der Individuen von den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leistungen abhängen. Es kommen daher Bedenken auf, eine Frauenquote führe dazu, dass unqualifizierte Frauen nur wegen der Quote bestimmte Positionen bekämen und dadurch qualifizierten Männern den Platz wegnehmen würden.
Die Londoner Studie konnte allerdings feststellen, dass eine Geschlechterquote die Kompetenz der Partei im Allgemeinen und die der Männer im Besonderen erhöht. Es wurde nicht nur effizienter gearbeitet, sondern die männlichen Mitglieder waren kompetenter als ohne entsprechende Quote. Mittelmäßig männliche Führungskräfte wurden aus den Ämtern gedrängt. Eine Frauenquote führt somit nicht dazu, dass Frauen nur wegen ihres Geschlechts befördert werden, sondern steigert eine allgemeine Beförderung aufgrund von Kompetenzen und Fähigkeiten.
Mit der Quote zum Erfolg
Die Frauenquote bewirkt auch, dass ein bestimmtes Muster aufgebrochen wird: Personen, die durch Kontakte in Führungspositionen gelangt sind, umgeben sich laut Forscher*innen eher mit weniger gut qualifizierten Mitarbeiter*innen des gleichen Geschlechts. So ist die Gefahr, dass ihre Autorität untergraben wird, am geringsten. Die Frauenquote steuert dagegen, denn bei den für Frauen angelegten Positionen werden die qualifiziertesten ausgewählt, ebenso bei den verbliebenen Stellen für Männer. Durch die größere Durchmischung von Teams wird ein anderes Diskussionsverhalten an den Tag gelegt und vom Erfahrungsaustausch profitiert.
Wichtig ist jedoch, dass eine bloße Frauenquote nichts bringt, denn oft erfüllen Frauen eine Doppelrolle von bezahlter und nicht bezahlter Arbeit (Kindererziehung,
Familienorganisation, Pflege von Angehörigen, Haushalt, Ehrenamt etc.). Somit haben sie nicht genügend zeitliche Kapazitäten, um eine Führungsposition wahrzunehmen. Es müssen also neben der Frauenquote auch Strukturen geschaffen werden, die es möglich machen, die Quote umzusetzen.
von Pia Appenmaier und Michaela Frenken - Jahresaktionsgruppe