Safer Spaces für jede*n
Jona, auf deinem Instagram-Account findet sich eine wortwörtlich bunte Mischung aus Kunst, Dinos sowie feministische Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Wie bist du dazu gekommen?
Feminismus ist ein Thema, das ganz groß ist und alle Menschen betrifft. Wie gehen wir miteinander um? Wer hat welche Rechte? Warum darfst du etwas, was ich nicht darf? Oder anders herum? Viele andere Faktoren spielen auch eine Rolle: Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Antisemitismus oder auch Feindlichkeit gegenüber dicken und fetten Menschen. Denn da erfahren Personen noch einmal ganz andere Diskriminierungen und es ist wichtig zu gucken, dass wir auch diese bekämpfen. Das wird auch „intersektionaler Feminismus“ genannt. Im Grunde haben viele Probleme auf dieser Welt mit ungleicher Behandlung zu tun. Feminismus hat also viel mit Geschlechtern zu tun, aber auch damit, dass alle frei leben und lieben können sollen. Viele Menschen werden ungerecht behandelt und dürfen viele Dinge nicht, die sie sich wünschen und die andere einfach so tun können. Ihnen wird auch oft nicht richtig zugehört, wenn sie versuchen, das zu ändern. Mir geht das auch so – als queere Person hast du nicht die gleichen Rechte wie eine Person, die nicht-queer ist. Das ist unfair. Ich versuche, Menschen darauf aufmerksam zu machen, damit sie sich auch dafür einsetzen können, dass sich die Politik zum Besseren ändert. Deswegen mache ich feministische und queerfeministische Bildungsarbeit.
Du bist selbst durch unterschiedliche Marginalisierungen betroffen. Sicherlich gibt es immer wieder viele Situationen und Momente im Alltag, in denen du das zu spüren kriegst.
Ja, das stimmt – leider. Für mich ist es zum Beispiel schwieriger, etwas in den Behörden zu regeln. Oft muss ich da meinen Personalausweis zeigen, damit die wissen, dass ich ich bin. Auf meinem Ausweis sind aber noch mein alter Name und ein altes Foto. Dann muss ich ganz viel erklären: dass ich trans bin und durch meine Hormontherapie jetzt anders aussehe und auch meine Stimme sich verändert hat. Es gibt immer wieder Menschen, die mir nicht glauben und dann kann ich wichtige Dinge nicht tun, wie zum Beispiel einen Vertrag unterschreiben, und muss mir was einfallen lassen. Das kostet viel Energie und Zeit und oft Geld. Bei Veranstaltungen muss ich schauen, ob ich als queere Person dort sicher bin oder ob ich lieber nicht hingehe. Wenn ich die Person, mit der ich in einer Beziehung bin, nach einem langen schönen Wochenende zum Bahnhof bringe, müssen wir oft aufpassen, wenn wir uns einen Abschiedskuss geben. Es gibt oft Situationen, in denen wir dann komisch angeguckt oder auch angepöbelt werden. Weil wir eben nicht hetero oder cis sind. Generell ist die Frage „Bin ich hier sicher?“ ziemlich präsent. Das fängt schon an, wenn ich aus meiner eigenen Haustür rausgehe. In meinem Leben gibt es auch Menschen, die keinen Kontakt mehr zu mir haben wollten, nachdem sie raus gefunden oder ich ihnen erzählt habe, dass ich queer bin. Oder die mir nicht geglaubt haben und gemein und verletzend zu mir waren. Das ist schon traurig.
Womit sollte deiner Meinung nach die Mehrheitsgesellschaft aufhören? Was für ein Verhalten geht gar nicht?
![Zeichnung des Künstlers Jonathanuki von mehreren vielfältigen Menschen](/sites/default/files/styles/pg_text_bild/public/2021-11/Illustration%20nicht-bin%C3%A4re%20Vielfalt.jpg?itok=HC3CJYAh)
Ich glaube, am schlimmsten finde ich die Angst vor Menschen, die anders sind als wir, anders sprechen oder sich anders verhalten. Denn das führt meistens zu Ausgrenzung und zu viel Gewalt. Wir sind alle unterschiedlich und sollten den Mut haben, aufeinander zuzugehen, anstatt ganz schnell die andere Person als „komisch“ oder „falsch“ abzustempeln. Jede Person ist einzigartig und ich finde das spannend und fantastisch!
Wenn du einen Wunsch frei hättest: Welches Verhalten sollte in unserer Gesellschaft komplett normalisiert sein?
Wenn ich mich mit Freund*innen verabrede, fragen wir uns oft: „Was brauchst du, um dich wohl zu fühlen?“. Und dann schauen wir, dass wir etwas finden, was uns beiden gefällt. Zum Beispiel bin ich sehr geräuschempfindlich und finde es anstrengend, lange in einem vollen Café zu sitzen. Die andere Person hat vielleicht gerade Hunger und braucht was zu essen – und so kochen wir was bei mir und gehen dann in ein Museum. Sich auf die Bedürfnisse der anderen Person einzustellen und dafür eine Sensibilität zu entwickeln – das könnten wir doch viel öfter machen, finde ich. Am Ende geht’s beiden damit gut!
Wofür würdest du dir mehr Sensibilisierung im alltäglichen Leben wünschen?
Ich habe ja schon erzählt, dass intersektionaler Feminismus aus vielen unterschiedlichen Themen besteht und wir alle sehr unterschiedliche Verletzungen erleben und Erfahrungen verschiedenster Art machen. Trotzdem gibt es immer wieder die Aussage: „Geschlechterungerechtigkeit? Die gibt es doch nicht mehr!“ oder auch „Queere Menschen haben doch schon alle Rechte, was brauchen die denn noch?“. Das wird oft gesagt von Menschen, die selber solche Erfahrungen gar nicht machen, weil sie keinen Sexismus oder keine Queerfeindlichkeit erleben. Aber nur, weil dir etwas nicht passiert, heißt es nicht, dass es damit kein Problem gibt. Wir brauchen also die Sensibilisierung dafür, dass solche Probleme existieren und wir das bedenken müssen, wenn wir Entscheidungen treffen oder mit Menschen zu tun haben, die von struktureller Diskriminierung betroffen sind. Der Begriff Safe Space beschreibt zum Beispiel einen diskriminierungsfreien Schutzraum für marginalisierte Menschen.
Was ist deiner Meinung nach grundlegend bei dem Versuch, einen Safe Space zu schaffen?
Stelle dir die Frage: Für wen genau möchtest du den Schutzraum bauen? Was sollte in diesem Raum nicht passieren? Die Antworten müssen dich zum Safe Space führen. Wenn du zum Beispiel eine Veranstaltung machst zum berühmten Thema „Menstruation“ und du willst nur Leute dabei haben, die diese Erfahrung machen – da reicht es nicht zu sagen, dass du einen Schutzraum für Frauen machst. Nicht jede Frau menstruiert und nicht alle, die menstruieren, sind Frauen: Viele trans- und inter-Personen menstruieren auch. Gleichzeitig schließt du Frauen aus, die nicht menstruieren (können), das passt also alles nicht wirklich zusammen. Wenn dein Ziel ist, dass sich alle wohlfühlen und offen über ihre Erfahrungen mit Menstruation reden sollen, kann es hilfreich sein, zu Beginn ein paar Regeln aufzustellen: Zum Beispiel, dass keine*r gezwungen wird, etwas zu sagen, oder dass bestimmte Worte, die beleidigend sein können, nicht benutzt werden. Dass einander zugehört wird und alle ausreden dürfen.
Was für Probleme ergeben sich in der Gestaltung eines Safe Space und dem Versuch, einen möglichst diskriminierungsfreien Umgang zu finden?
Es ist richtig schwierig, wirklich jede Diskriminierung zu verbannen – denn wir alle sind damit aufgewachsen und müssen erst Stück für Stück begreifen, dass erlernte Formulierungen, Gedanken und Verhaltensweisen verletzen und ausschließen. Ein Raum kann also nie diskriminierungs-frei sein, aber diskriminierungs-arm. Deswegen spreche ich nicht von Safe Spaces, sondern lieber von „SafeR Spaces“.
Warum ist der Versuch, Safe Spaces zu schaffen, gerade auch für queere Menschen von besonderer Relevanz?
Als queere Person kannst du an vielen Punkten in der Gesellschaft anecken – weil du nicht hetero oder cis bist, wenig bis keine sexuelle oder romantische Anziehung verspürst, dein Körper nicht der binären Norm entspricht, du mehrere Partner*innen hast, dein Geschlecht nicht Frau oder Mann ist (also nicht-binär oder a-geschlechtlich) oder auch weil du am liebsten keine Label für dich verwendest. Das verstehen viele Menschen nicht und du musst dich ständig erklären. Oft kannst du auch einfach nicht du selbst sein oder musst Gewalt und Ausgrenzung erfahren. Wie kannst du dich da wohl und zugehörig fühlen? Queere Safer Spaces versuchen dagegen, eine kleine Welt zu bauen, in der du dich verstanden fühlen und auch Menschen kennen lernen kannst, die ähnlich sind wie du. Oft fühlt sich das an wie eine warme, kuschlige Umarmung. Das ist ungemein wertvoll. Natürlich sind auch queere Safer Spaces nicht frei von Diskriminierung und Ausschluss. Deswegen gibt es auch immer wieder Räume für Gruppen innerhalb der queeren Szene, die mehr auf die jeweiligen Bedürfnisse und Wünsche ausgerichtet werden können: zum Beispiel für Menschen, die eine medizinische Transition machen oder queer und behindert sind. Jede*r verdient einen Safer Space.
Was möchtest du abschließend noch mitteilen?
Ich lebe jetzt schon viele Jahre offen als queere Person. Und ich liebe es, queer zu sein, aber es ist nicht immer einfach. Wenn du das liest und selber queer bist, oder dich gerade fragst, ob du vielleicht dazu gehörst: Du bist nicht allein. Es gibt so viele von uns! Such dir Menschen, die dich verstehen, wende dich zum Beispiel an den nächsten LGBTIQA+ Verein. Tut euch zusammen und bildet euren eigenen Safer Space. Wir sind alle wertvoll und wunderbar!
Über Jonathanuki
Jonathanuki (Künstlername) ist selbstständiger Künstler und politischer Aktivist. Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich mit queeren Lebensrealitäten, klärt auf und informiert Menschen über das Leben außerhalb der Cis-Hetero-Normativität. In den sozialen Medien redet er über sein Leben als Teil der LGBTQ*-Community und versucht, Menschen für Geschlechterfragen zu sensibilisieren. Der intersektionale Anspruch findet sich in seinen Texten und Illustrationen wieder, die aktuelle feministische Diskurse und persönliche Erfahrungen aufgreifen. In Workshops und durch Vorträge leistet er queere und feministische Bildungsarbeit, sei es in Jugendzentren oder mit politischen Gruppen.
Einen Teil seiner Person und Erfahrungen könnt ihr auf seinem Instagram-Account sehen: Er ist queer, trans und nicht-binär. Jonathanuki ist neurodivergent, macht Kunst und liebt verdrehte Sachen. Er und sein Käsekopf veröffentlichen regelmäßig kleine Textkolumnen, Kunst, beantworten queerfeministische Fragen und teilen persönliche Gedanken. Denn als queere Person muss er sich zwangsläufig jeden Tag mit Queerfeminismus auseinandersetzen: seien es Outings oder eigene Zweifel, Gewalt von außen, dass Gefühle nicht ernst genommen oder Bedürfnisse nicht respektiert werden. Dazu zeigt er bunte Illustrationen und stellt seine (Kunst-)Projekte vor. Dazwischen: Dinos, Raccoons und lustige Geschichten.
Instagram: @jona_thanuki
Email für Kontakt und Anfragen: anfrage.jonathanukigmail.com