Wir brauchen internationale Impfgerechtigkeit!
1966 wurde die körperliche und geistige Gesundheit von den UN-Mitgliedsstaaten als Menschenrecht anerkannt. Damit sind alle Regierungen verpflichtet, das Recht auf Gesundheit zu schützen, allen Menschen Zugang zu ausreichender Gesundheitsversorgung zu ermöglichen und Benachteiligung besonders marginalisierter Gruppen zu überwinden.
Am 31. Dezember 2019 wurde der Ausbruch einer neuen Atemwegserkrankung mit unbekannter Ursache bestätigt: Covid-19. Seitdem befindet sich die Welt in einem Ausnahmezustand. Besonders der globale Süden ist durch die Pandemie gefährdet. Ein Maßstab, um die Gesundheitsversorgung in einem Land zu messen, ist die Lebenserwartung. Daten aus dem Jahr 2019 zeigen, dass die Ausgangslage vor Beginn der Pandemie zwischen den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist. Bereits vor Corona waren viele Gesundheitssysteme auf der Welt weniger leistungsfähig als zum Beispiel in Deutschland, da sie materiell, personell und finanziell schlechter aufgestellt waren.
Eine Folge der Pandemie ist, dass Arbeiter*innen aus Medizin- und Pflegeberufen deutlich größeren Risiken ausgesetzt sind, mehr als 115.000 von ihnen sind seitdem weltweit gestorben. Eine weitere Folge ist, dass die Gesundheitssysteme im globalen Süden besonders gefährdet sind, stark und schnell zu überlasten. Das wiederum führt dazu, dass die medizinische Versorgung anderer Erkrankungen in den letzten zwei Jahren in vielen Teilen der Welt teilweise vernachlässigt werden musste.
Die Omikron-Variante zeigt uns deutlich, dass neue Mutationen immer wieder zu einer Verlängerung der Pandemie führen. Corona ist erst dann kein schwerwiegendes Risiko für die globale Gesundheit mehr, wenn ein Großteil der Menschen weltweit Zugang zu ausreichend Impfstoffen oder zu einer heilenden Behandlung hat. Solange das nicht erreicht ist, besteht die Gefahr von immer neuen Mutationen, gegen die Impfungen möglicherweise auch nicht mehr helfen können. Eine immer weiter währende Pandemie hat darüber hinaus auch besorgniserregende politische und soziale Folgen. So haben zum Beispiel Armut, Hunger und sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen in den letzten zwei Jahren weltweit drastisch zugenommen.
Es fehlt an Impfstoff, aber nicht an Produktionskapazitäten
Die aktuelle Impfstoffproduktion deckt bei weitem nicht den weltweiten Bedarf. Bei mRNA-Impfstoffen (Biontech /Pfizer, Moderna) besteht im Vergleich zu Vektor-Impfstoffen (Astrazeneca, Johnson & Johnson) die Möglichkeit, Impfstoffe in Produktionsanlagen zu produzieren, die vorher keine Impfstoffe hergestellt haben. Geeignet wären zum Beispiel Anlagen, in denen sterile, injizierbare Arzneimittel hergestellt wurden.
Das AccessIBSA-Projekt hat eine Liste mit 120 pharmazeutischen Herstellern in Asien, Afrika und Lateinamerika erstellt, die über die technischen Voraussetzungen und Qualitätsstandards zur Herstellung von mRNA-Impfstoffen verfügen. 98 der 120 Hersteller dieser Liste haben bereits sterile pharmazeutische Produkte in die Europäische Union exportiert und wurden deshalb schon für die gute Herstellungspraxis (GMP) von der europäischen Arzneimittelagentur zertifiziert.
Es benötigt einen mRNA-Technologietransfer, um möglichst schnell mehr Impfstoffe zu produzieren und das Pandemiegeschehen eindämmen zu können. Dazu wäre eine Patentaussetzung für mRNA-Impfstoffe für die Dauer der Pandemie notwendig. Aktuell wird die Entscheidung über den TRIPS-Waiver-Antrag zur Aufhebung von Patenschutz in der Welthandelsorganisation vor allem durch die europäische Kommission und auch Deutschland blockiert.
Was muss getan werden?
- Der Patentschutz für mRNA-Impfstoffe muss zeitweise aufgehoben werden.
- Der globale Süden muss beim Ausbau der mRNA-Impfstoffproduktionsanlagen unterstützt werden.
- Um eine faire Verteilung unabhängig von finanziellen Mitteln einzelner Staaten zu ermöglichen, muss die COVAX-Initiative unterstützt werden.
Was ist der TRIPS-Waiver-Antrag?
Im Oktober 2020 stellten Indien und Südafrika in der Welthandelsorganisation einen Antrag, um das Übereinkommen über den Patentschutz, der im TRIPS-Abkommen beschlossen wurde, während der Covid-19-Pandemie auszusetzen. Betroffen wären nicht nur die Patentrechte auf zum Beispiel Medikamente, sondern auch Designs, Geschäftsgeheimnisse und Urheberrechte, die im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie stehen. Dementsprechend geht es nicht nur um Impfstoffe, sondern auch um andere Medikamente oder Medizinprodukte. Ziel ist es, Ländern ohne entsprechende Forschungsressourcen den Zugang zu Covid-19-Impfungen, Tests und anderen notwendigen medizinischen Geräten zu erleichtern. Aktuell wird der Antrag immer noch diskutiert, da sich zum Beispiel die Europäische Union bei der letzten Besprechung des Antrags klar dagegen ausgesprochen hat. Der Antrag wird weltweit von mehr als 100 Länder und vielen NGOs, wie zum Beispiel Human Rights Watch oder Ärzte ohne Grenzen, unterstützt. Das letzte anberaumte Minister*innen-Treffen, das höchste Entscheidungsgremium der Welthandelsorganisation, wurde auf Grund der Ausbreitung der neuen Omikron-Variante auf unbestimmte Zeit verschoben. (Stand: 24.01.2022)
Was ist die COVAX-Initiative?
COVAX ist die Abkürzung für Covid-19 Vaccines Global Access. Es handelt sich um eine Initiative, die einen weltweiten und gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen gewährleisten will. Die Initiative soll einen Lösungsansatz zur Impfstoffverteilung unabhängig der finanziellen Situation von Ländern darstellen. Für Länder mit niedrigem Bruttoinlandsprodukt und für Länder, die keine direkten Geschäfte mit Impfstoffherstellern machen, ist der Bezug von Impfstoff über die COVAX-Initiative der einzige Weg. Leider ist die COVAX-Initiative nicht in der Lage, das Problem der global unzureichenden Impfstoffproduktion zu lösen. Dazu fehlen Produktionsstandorte und Zugeständnisse im Bereich des geistigen Eigentums. Die COVAX-Initiative finanziert sich durch Spenden.
Begriffserklärung Globaler Süden
Globaler Süden wird die Ländergruppe genannt, die oftmals auch mit den Begriffen Entwicklungs- oder Schwellenländer bezeichnet wird. Der globale Norden beschreibt hingegen reiche Industrieländer. Die Beschreibung Nord/Süd ist dabei losgelöst von ihrer relativen geographischen Bedeutung und soll als neutralerer Begriff wertende Beschreibungen ersetzen. Gleichzeitig wird durch das Wort „global“ eine globale anstatt einer nationalstaatlichen Perspektive verstärkt.